Nun befuhren wir andere Straßen. Keine Kehren über die Pässe mehr (die konnte ich ja nun), sondern eher kleine Nebensträßchen. Sehr schmal, kurvig und ziemlich holprig. Für unsere Versen stellte das kein Problem dar, genau dafür wurden sie ja konstruiert! Für die Fahrer aber (zumindest für mich) war das genauso anspruchsvoll wie durch Kehren zu brennen.
Peter drehte ordentlich am Gasgriff, Ander nicht weniger. Und ich gab mir Mühe, den Anschluss nicht zu verlieren. Kaum eine Kurve konnte man wegen meterhohem Grasbewuchs vollständig einsehen, da wusste man nie, ob einem ein Fahrzeug entgegenkam. Peter muss wohl so was wie einen Röntgenblick gehabt haben, denn er schien ohne jede Bremsbetätigung gleichsam durch die Kürvchen zu fliegen.
Einmal bekam ich einen Riesenschreck, als mitten in einer Rechtskurve wie aus dem Nichts ein weißer Transporter auftauchte. Mir schien, der Fahrer war genauso erschrocken wie ich, dass hinter den beiden flinken Versen noch eine dritte herrennt. Ich drückte die Versys Richtung Straßenrand und wusste aber in dem Moment schon, dass das nicht reichen würde. Bevor ich einen Ausruf des Entsetzens in meinen Helm brüllen konnte, war der Transporter schon vorbei. Der Fahrer muss wohl stärker zur Seite gelenkt haben als ich dachte und so kam es, dass meine Versys nicht von einem Lieferwagen geküsst wurde. Sowas von knapp war das!
Blutdruck auf 180, Adrenalinschub, schwitzende Hände. Zeit für mich, etwas ruhiger zu fahren. Wenigstens so lange, bis die Biofunktionen wieder normale Parameter erreicht haben.
Ein paar Kilometer später schaute ich dann ganz bewusst auf Peters und Anders Fahrstil, denn irgendwie wollte mir nicht in den Kopf, dass die beiden so viel schneller durch diese nicht einzusehenden Kurven fuhren als ich. Ich meine, ein bisschen crazy waren sie ja schon, die beiden, aber doch nicht lebensmüde!
Es war offensichtlich, sie fuhren die Kurven deutlich weiter außen an als ich. So konnten sie natürlich weiter in die Kurve hineinsehen. Die Kehrentechnik, die ich mir nach tausend Kurven angewöhnt hatte (Rechtskehren ganz innen fahren), hatte sich schon so manifestiert, dass ich nun unbewusst alle Rechtskurven (nicht nur die Kehren) sehr weit innen fuhr.
Jetzt musste ich mich immer wieder ermahnen, Rechtskurven weit außen anzufahren, um sehen zu können, was in und hinter der Kurve ist. Ich musste also wieder umlernen.
Anstrengend ist das! Da denkt man, man hätte eine elegante Kurventechnik gefunden, und merkt später, dass man wieder von vorn anfangen muss. Doch - wie bei den Übungen der Kehrendurchfahrten auch - wich die anfängliche Anstrengung und Unsicherheit immer weiter dem Fahrspaß. Und bald dachte ich nicht mehr groß über das Kurvenanfahren nach, es lief automatisch.
Bei der nächsten Pause, die wir in einem Eiscafe verbrachten, wurden unsere drei Versen angebaggert. Und zwar von diesen drei:
Die drei italienischen GSen gaben sich alle Mühe, unsere Versen zu locken und zu verführen. Doch unsere Versen schienen zu wissen, dass die jungen, stürmischen italienischen BMWs nur das Eine im Kopf haben. So blieben sie standhaft und zeigten den BMWs die kalte Schulter.
Stunden später - es wurde schon dunkel - hielt Peter urplötzlich mitten auf der Straße an. Er hatte ein Scheppern bemerkt und musste feststellen, dass sein Nummernschild abgefallen war.
Während Peter und Ander im Wald neben den letzten beiden Kurven nach dem verschollenen Nummernschild suchten, sicherte ich die Fahrzeuge. Die Suche gestaltete sich schwierig und langwierig, da das Gelände neben der Straße steil und unübersichtlich war. Letztlich fanden sie das Nummernschild aber doch. Was für ein Glück, denn ohne Nummernschild wäre der Südtirol-Trip für Peter mit Sicherheit zu Ende gewesen.
Manuel, unseren Hotelwirt, hatten wir schon vorher verständigt, dass wir erst später am Hotel eintreffen werden. Kein Problem für ihn, dann gibt's eben später Abendessen.
Durch stockdunkle Wälder brummten wir zum Hotel und kamen dort gegen 22 Uhr erschöpft, aber glücklich, an.
Tags darauf schon wieder schönes Wetter. Wir hatten in Südtirol noch nicht einen Regentropfen abbekommen, und das sollte auch die restlichen Tage so bleiben.
Ander war heute wieder unser Guide und er führte uns durch wunderschöne Täler, über Pässe und durch Kurven, Kurven, Kurven. Was meinen Fahr- und Kurvenstil angeht, da hat irgendwas im Kopf "Klick" gemacht. Keine Unsicherheiten mehr, eher so ein Gefühl wie Abgeklärtheit, Erfahrung, vielleicht sogar schon ein bisschen Professionalität. Die Versys macht es einem ja wirklich leicht. Sie lässt sich in der Kurve und selbst bei erheblicher Schräglage leicht korrigieren. Ein leichtfüßiges Mädchen ist sie!
Erster Stopp: Würzjoch. Dort oben war es wirklich kalt. Die Versen kuschelten sich in eine windgeschützte Ecke
und wir machten es uns auf der Terrasse gemütlich und genossen die Aussicht auf die Felsen der Dolomiten.
Unser Ander - so viel wussten wir schon - ist nicht nur ein Motorradfahrer mit Leib und Seele, sondern auch eine richtige Naschkatze. Keine Mahlzeit, kein Kaffe ohne eine süße Nachspeise.
Weiter ging die Fahrt durch Täler und über Berge, mitten durch die Dolomiten. Unten in den Tälern war es recht warm, auf den Bergen dagegen empfindlich kühl. So kühl, dass ich sogar ab und an meine Heizgriffe eingeschaltet habe. Immerhin waren wir knapp unter den Wolken.
Die Landschaft war grandios. Allein schon die hellen Felsen wirken, als wäre man auf einem fremden Planeten. Die Vegetation ist spärlich und die einzelnen Gebäude sehen aus wie kleine Häuschen auf einer Modellbahnausstellung.
Und wenn dann die Sonne langsam untergeht, entstehen prächtige Farbspiele.
Am folgenden Tag würden wir ohne Ander auskommen müssen; der arme Kerl musste arbeiten. Vorher gab er Peter jedoch noch ein paar Tipps für die morgige Tour durch's Trentino.
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- Fortsetzung folgt -