Laut Veranstalter ist auch Lederkleidung nötig, also habe ich meine alte Lederkombihose aus dem Schrank gekramt, die ich vor 10 Jahren zu Fahrschulzeiten getragen habe, und die passt sogar noch. Die Jacke dazu hatte ich schon vor Jahren verschenkt, aber ich habe noch eine echt alte, echte Lederjacke, mit Lederdopplung an Sturzstellen und einem sogar passenden Verbindungsreißverschluss. Also: Keine Protektoren. Also: Protektorenjacke dazu. Weil XL mit zu klein ist und XXL nicht unter die Jacke passt, kommt die Protektorenjacke halt über die Jacke. Sitzt zwar nicht perfekt und sieht komisch aus, aber nur für ein Training ´ne Lederkombijacke kaufen wäre etwas übertrieben.
Weil das Training einen Freitag von 8-17 Uhr geht nehmen wir beide Urlaub und reisen am Vorabend an. Das „Hotel Arts & Restaurant Konoba“ liegt 15 Minuten von der Strecke und ist eine Empfehlung wert, wenn man auf glattes Design und fast-schon-Sterne-Küche (aber mit ordentlichen Portionen) steht. Im Ort gibt es sonst auch Supermarkt, Bäcker, Metzger und vor allem eine Tankstelle. Im Sinne von Gewichtseinsparung tanke ich nur halb voll, entferne Topcaseträger, Navihalter und Soziusrasten samt Heckrahmenverstärkung. Laut Beschreibung des Veranstalters soll man Spiegel demontieren und alle Leuchtfunktionen des Motorrads stilllegen, insbesondere das Bremslicht, weil sich das auf einer Rennstrecke so gehört. Eine Rolle Klebeband wandert also in den Tankrucksack und schon geht’s um halb acht Uhr früh (!) Richtung Hockenheimring. Mein Navi führt uns zuverlässig nach Hockenheim in die Ortsmitte, vorbei an diversen Wegweisern Richtung Hockenheimring, und fängt dann in der Ortsmitte an, nur noch „Strom abgeschaltet, Navi schaltet in 120… 119… 118… Sekunden ab“ anzuzeigen. Ganz toll. Wir finden es dann aber doch, und werden am Einfahrthäuschen „links“ geschickt. Eine Unterführung mit auffälligem Zaun oben später sind wir auf dem Gelände der Rennstrecke. Das Wetter ist stark bewölkt und es sind Schauer angesagt.
Innen in einer Grandprix-Rennstrecke geht es für Neulinge recht verwirrend zu; es ist wenig ausgeschildert und wenig Fernsicht. Wir landen auf einem Großparkplatz für Rennautos, die auf eine Veranstaltung am Wochenende warten (Tuner-Grandprix, Drift Challange). Leckere Sachen dabei, aber wo müssen wir hin? Einfach ziellos umher fahren, dann findet man hinter einer Ecke eine Unmenge Motorräder, teilweise mit Startnummern. Sieht gut aus. Aber so viele?
Auf dem Foto fehlt schon die Hälfte – der mittlere Bereich war auch voll
Mein Instruktor ist Katrin, und sie fährt Daytona 675. In meiner Gruppe sind sonst Z1000, F800R, Aprilia Tuono und all sowas. Wenn ich mich so umsehe auf dem Parkplatz, dann habe ich die geringste Motorleistung. Da es mittlerweile tröpfelt, wird es aber wohl eh kein Hochgeschwinidigkeitsrennen. Nach der technischen Abnahme gefragt meint sie, die macht sie gleich, geht 1x um jedes Motorrad rum, betätigt Bremshebel und beäugt Kette und Reifen. Abgeklebt oder abgebaut wird nichts. Auch tragen diverse Teilnehmer 0815-Textil-Motorradklamotten. Das wäre ja einfach gewesen! Motorräder, die erkennbar für die Rennstrecke aufgebaut wurden, sind nur 1-2 zu sehen. An meiner Versys wird die Kettenspannung als recht gering, aber noch in Ordnung bewertet. Ich habe sehr viel Federweg und mag das so. Derweil setzt leichter Regen ein.
Katrin sagt an, dass wir in drei Minuten starten, also stürmen alle in die Box, turnen in die Lederklamotten und Regenkombis, Helme und Handschuhe und dann geht’s wieder zu den Motorrädern… die inzwischen weg sind…? Na, schönen Dank auch, denke ich mir, aufsitzen, anlassen, einfach mal grob in die Richtung fahren, in die die anderen Gruppen so fahren. In die Boxengasse nämlich. Dabei versuche ich mich krampfhaft zu erinnern, welches Motorrad vorher vor mir stand: Eine orange F800R, aber finde da mal eine, wenn du 150 Motorräder von hinten siehst, die alle an der Perlenkette aufgereiht parken. Besonders ohne Kenntnis des Kennzeichens. Aber ich schaffe es noch, und als die Motoren hier wieder abgestellt werden, spreche ich meinen Vordermann an: Ja, er wollte die Gruppe noch ausbremsen, er wurde aber nicht bemerkt. So stehen wir ein paar Minuten in der Boxengasse, und der Regen wird stärker. Die Strecke ist inzwischen vollständig nass. Als die Ampel auf Grün springt, startet die erste Gruppe, mit wenig Abstand dann die zweite und so weiter. Endlich sind wir am Zug und starten ebenfalls auf die Strecke.
So `ne GP-Strecke ist echt beeindruckend breit, vergleichbar mit einer dreispurigen Autobahn. Wir fahren vormittags die GP-Konfiguration der Strecke, die Kurzanbindung ist erst am Nachmittag dran. Schon vor der ersten Kurve gibt es einen Rückstau, da so viele Motorräder auf der Strecke sind. Wir fahren mit Tempo 30 auf die Kurve zu, mit Tempo 30 durch die Kurve, und beim Rausbeschleunigen merke ich, dass hier verflucht wenig Grip ist. Unfassbar wenig Grip sogar, weniger Grip als auf jeder mir bekannten Straße, einschließlich „Wir verarbeiten was wir hier gerade finden können“-Alpenstrecken aus dem ersten Weltkrieg jenseits der 1800 Höhenmeter. Dabei dachte ich, eine Rennstrecke zeichnet sich gerade durch einen guten Belag aus. Anscheinend gilt das nur für trockene Fahrbahnen, denn im Nassen rächt sich der Gummiauftrag durch die Rennautos. Jedenfalls nehme ich einige Mal Gas zurück, weil das Heck auskeilt. Auch beim Einlenken dauert es mal einen Augenblick länger, bis das Motorrad dem Vorderrad folgt. Nunja, weiter geht es die Gegengerade mit bis zu 100 km/h auf die nächste Spitzkehre zu, wo wieder Rückstau und Tempo 30 angesagt ist. Zur Mercedes-Tribüne gibt es einen sanften Rechtsknick, dann wieder Rückstau und Tempo 30 vor der links. Dann zweimal rechts geht es ins Motodrom, erneut mit knapp dreistelligen Geschwindigkeiten. Die Sachskurve ist verflucht rutschig, aber echt interessant gebaut mit der Radiusänderung und der Überhöhung. Eine Teilnehmerin in einer Gruppe vor uns nutzt die Gelegenheit zum Ablegen ihrer Ducati Monster, steht aber sofort wieder auf.
Dann geht es in einer langen Mehrfach-Rechts auf die Start-/Zielgerade, wo man voll durchl… nein, der Instruktor bremst auf Tempo 70 und die Gruppe dahinter rotiert 1x. Und dann beginnt das ganze wieder von vorne, einschließlich Rückstau vor jeder engen Kurve. Ich bin sehr damit beschäftigt, dem Vordermann nicht hinten rein zu fahren und versuche ansonsten, am Rest der Gruppe vorbei einen Blick auf die Linie des Instruktors zu erhaschen. In unserer Gruppe fällt mir besonders ein Z1000-Teilnehmer auf, der die Gruppe ausbremst, und sich in jeder Kurve mit 5° Schräglage neben das Motorrad hängt, als hätte er Stacheln auf der Sitzbank. Wäre das hier eine Ausfahrtgruppe bei einem Motorradtreffen, ich würde abhauen.
Nach 15 Minuten ist die Fahrzeit auf der Strecke auch schon wieder vorbei und wir folgen dem Guide ins Infield auf einen asphaltierten Platz, wo ein kleiner Rundkurs mit Hütchen markiert ist – ein unrunder Kreis, den man Linksrum umfahren soll. Zuvor gibt es noch eine Unterweisung in Blickführung und Sitzposition. Der Belag ist hier so griffig, wie man es von einer Straße erwarten würde. Hier fährt jeweils nur die halbe Gruppe, aber für 150 Meter Kurslänge sind auch vier Motorräder schon recht viel, besonders weil obiger Z1000-Fahrer wieder mit dabei ist: Weiterhin Schlange stehen, Lücke lassen und zügig zufahren klappt auch nicht, und an den drei Motorrädern vor mir vorbei und an allen Hütchen vorbei gucken kriege ich auch nicht hin. Mit Blicktechnik ist nicht viel los, weil wir uns mehrheitlich im Bereich unter 30 km/h bewegen. Das ewige Hinterherfahren macht mich müde und unkonzentriert.
Nach dem Turn beantrage ich also einen Wechsel in eine schnellere Gruppe, und da findet sich dann auch eine: Carsten ist mein neuer Instruktor, und er fährt S1000R. Ansonsten viel Multistrada und S1000XR in der Gruppe. Im ersten Turn ist es noch nasser, aber immerhin werden in dieser Gruppe deutlich dreistellige Geschwindigkeiten erreicht. Vor Kurven brauche ich nach wie vor kaum die Bremse, und in der Kurve ist weiterhin wenig Schräglage möglich, weil die Strecke es einfach nicht hergibt. Trotzdem, hier fühle ich mich besser. Erneut geht es zu einem Infield-Bereich, wo ein Slalomkurs mit zwei 180° Wendungen abgesteckt ist, erneut mit griffigem Belag. Da kommt schon eher Fahrspaß auf. Eine Teilnehmerin weiter vorne fährt konsequent immer an der falschen Seite der absichtlich auf die Seite gelegten Hütchen (immer an der Spitze vorbei fahren), ohne dass ein Instruktor sie darauf aufmerksam macht. Bei der Wende bekommt jeder das obligatorische „Guck weiter in die Kurve rein“-Zeichen, das war’s an Feedback. Dann setzen wir uns in die Mercedes-Tribüne und beobachten das Treiben auf der Strecke. Ziel der Lektion ist es, den richtigen Einlenkpunkt und die Blickführung vor der Linkskurve zu Beobachten. Eine Teilnehmerin nutzt die Gelegenheit, ihre F650GS vor Zuschauern abzulegen. Ihr Mann (R1200GS) hält an und kriegt einen Riesenanschiss dafür, weil man auf der Rennstrecke nicht anhalten darf. Dann fährt er weiter, und dann sie. Ob der Anschiss nötig gewesen wäre, weil ja niemand auf dieser Strecke gerade ein Rennen fährt, weiß ich nicht.